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       Ausgabe 168/2008 - Mo.,  8. Sep 2008
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   	Diamantenschaum   
   
   
   	
Bibliografische Daten:
Verlag: Engelsdorfer Verlag
Ort: Leipzig
Erscheinungsjahr: 2007
Preis: 9,30 Euro
ISBN: 3867036098
Die KV-Autorin Carmina schreibt wunderbare Gedichte voll Witz und Hintersinn.
 Karin Maiers Gedichte erinnern mich an die logische Schärfe Erich Frieds, sind aber bildreicher. Die bayerische Lyrikerin denkt vom Dialekt her punktgenau und kommt so zu einer Prägnanz des Logischen, die den Leser frappiert. Sie liebt das literarische Paradoxon und die Antithese, die Dialektik. Das zeigt schon der Titel des Gedichts „sichtlich blind“. Heimlich korrespondiert das vordergründig so lustig scheinende Gedicht mit der Position des Lyrikers, des Künstlers, der eine ganz anders kartierte Welt im Kopf hat und der vermeintlichen Realität der ersten Ordnung andere Realitäten gegenüberstellt. Antithetisch gebaut ist auch das folgende Gedicht: 
s fernsehkastl
so a fernsehkastl 
is wia a wunder 
oiwei 
wenns d eischaltst 
schaugd di s lebn o 
oiwei 
wenns d neischaugst 
schaltst dei lebn aus 
Das „wunder“ ironisiert die schreckliche Metamorphose des alltäglichen Eskapismus (in der letzten Strophe). Dem „fernsehkastl“ folgt das „hirnkastl“, jetzt geht es tiefer in uns hinein: Das lyrische Ich fragt sich gespielt naiv, wie das Gehirn eines Singvogels funktioniert – anders gesagt: Selbstreflexion scheitert wie die Frage nach dem Sinn unseres gesamten Seins. Bewusstsein ist nur eine Chimäre. Wir sind nur höhere Tiere, nichts weiter. 
s hirnkastl
manchmoi kommt mir 
mei hirnkastl 
wia a ramschladl vor 
i wühl 
wia varruckt drin rum 
und suach nach am ton
nix kommt 
i frag mi 
wia die amsl des macht 
die draußn singt
Poetischer – im Sinne sinnlich verbildlichter Gedanken – sind die beiden folgenden Gedichte: 
winta hamma ?
d wiesn 
schaugd a weng oid aus 
in da fruah
da see 
hod nix zum beißn 
er derf nur ab und zua 
an himmi schlucka 
s radl wundert se a
es draht 
sicher durch 
wenn s so weida geht 
kann se da winta 
wenna no reischneid 
nimma an sich selba erinnern
Dieses ‚Wintergedicht’ ließe sich im Unterschied zu den meisten anderen ins Hochdeutsche setzen und verlöre dann kaum seine Kraft. Die sanfte Ironie, wie die unvollendete Natur mit sich selbst redet – obwohl wir doch aus den anderen Gedichten wissen, dass Selbstreflexion zum Scheitern verurteilt ist – steigt vom Grund des unverfrorenen Sees bis hinauf zum Himmel. Der kleine See schluckt den großen Himmel, das Diesseits vereinnahmt das Jenseits, wir projizieren unsere geistige Nahrung… und so wird das Sollipsistische oder einfach nur das Subjektive unserer Existenz in grotesker Weise deutlich. Und zum Schluss wird der potentielle Alzheimer der Jahreszeit, die gar nicht recht geboren wurde, zum Bild der Unfähigkeit aller Selbsterkenntnis. Das ist einfach wunderbar gemacht. 
Noch perspektivistischer ist dieses Gedicht: 
regnbognforelln
de oan sagn 
des 
de andern sagn 
des andere 
de oan ham recht 
de andern s große wort 
s geht 
durch mi durch 
wia vo oam ufer 
zum andern 
manchmoi bleibt wos hänga 
de forelln wissn s 
Offenbar hängt das lyrische Ich mitten in der Luft, es schwebt über dem Fluss und ist lieber Teil der unbewussten Natur, mit der es sich versteht, als Teilnehmer des geistigen Diskurses unserer Zeit. Er versteht davon nur wenig, sagt er, hier rein da raus, aber das ist nur ein Spiel – das lyrische Ich ist nicht so naiv, wie es tut! Die Forellen als Zeugen der Skepsis zu benennen, ist eine heftige Verurteilung der Möglichkeiten und Ergebnisse menschlichen Denkens. 
So gesehen sind Karin Maiers Mundartgedichte Gedankengedichte – die Hauptthemen sind Erkenntnis, Selbsterkenntnis, insgesamt: Skepsis gegenüber der Kultur und daher Sehnsucht nach einer einfacheren Harmonie, für die die Natur als Bild (weniger sie selbst im eigentlichen Sinn) steht. 
 
Noch nie war mir das Bayerische derart sympathisch wie in solchen Gedichten. Welch eine starke Sprache und sensibel zugleich. Bei Karl Valentin ist mir das Bayerische nicht so nah gekommen. Und auch die besten bayerischen Kabarettisten von heute schaffen nicht diese Dichte und die wunderbare Aufhebung des Derben, das jedem Dialekt innewohnt. Karin Maiers Mundartgedichte entwickeln eine unglaubliche Zartheit und Leichtigkeit, ohne an Tiefe zu verlieren. Dem Dialekt verdankt sich die Kraft und die Bildprägnanz nicht allein, es liegt vielleicht tatsächlich auch daran, dass die Dichterin im Bayerischen von innen heraus das Wesentliche so leicht sagen kann, dass es zugleich auf engstem Raum Tiefe gewinnt.
Ulrich Bergmann   
 
           
      
     
     	
   
    
    
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