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Zentrales Besprechungsorgan von keinVerlag.de Ausgabe 217/2009 - Mi., 8. Apr 2009
Übungseinheiten in Sachen Differenzierungsvermögen
Schröder, Richard: Abschaffung der Religion?. Wissenschaftlicher Fanatismus und die Folgen. Freiburg i. Br. (Herder), 2008 - Eine Rezension von JoBo72

Bibliografische Daten:
Verlag: Herder
Ort: Freiburg i. Br.
Erscheinungsjahr: 2008
Preis: 14,95 Euro
ISBN: 3451298422

Richard Schröder setzt sich in „Abschaffung der Religion? Wissenschaftlicher Fanatismus und die Folgen“ mit der Problematik des Wissenschaftsfundamentalimus' auseinander, wie er den Schriften des „neuen Atheismus“ inhärent ist. Er beschäftigt sich dabei besonders mit Richard Dawkins’ populären Büchern „Das egoistische Gen“ und „Der Gotteswahn“.
Der Theologe und Philosoph Richard Schröder, Verfassungsrichter des Landes Brandenburg und Präsident des Senats der Deutschen Nationalstiftung Weimar, zählt zu den großen Intellektuellen unserer Zeit. Das hat er mit Richard Dawkins gemein. Sonst nichts. Das mag nicht weiter verwundern, denn Schröder ist bekennender evangelischer Christ, Dawkins ein bekennender Atheist, der im freidenkerischen Oxford Thesen zur Religion aufstellte, die nicht nur religionskritisch, sondern in Teilen hetzerisch, beleidigend und im großen Ganzen religionsphilosophisch substanzlos sind. Von verschiedenen Seiten ist der Naturwissenschaftler daher mit dem Ideologievorwurf konfrontiert gewesen.

Schröder wendet sich zwei Schriften des „neuen Atheismus“ zu, Dawkins’ populären Büchern „Das egoistische Gen“ und „Der Gotteswahn“, deren szientistische Kernthesen zum verbindlichen „Credo“ jedes „neuen Atheisten“ gehören, der was auf sich hält: Der Mensch ist ein Tier, Materie ist alles, was existiert, Wissenschaft hat „Allerklärungskompetenz“ (Schröder), Religion ist Wahn, Religionsunterricht ist Kindesmissbrauch, Gott – der nur als Hirngespinst existiert – ist an allem Schuld, weil er Menschen zu stumpfsinnigen Bestien werden lässt, sobald sie beginnen, nach ihm zu suchen.

Obwohl sich Schröder bei seiner Kritik des wissenschaftlichen Fundamentalismus’ im Wesentlichen auf die beiden angeführten Dawkins-Bücher stützt, lassen historische Bezüge erahnen, dass dieses Phänomen nicht ganz neu ist. Der methodologische Hauptfehler jedes Fundamentalismus', sei er wissenschaftlich oder religiös, ist ohnehin zeitlos: Die persönliche Sicht der Dinge zu verabsolutieren, ohne Rücksicht auf die eigenen weltanschaulichen Bedingtheiten und ohne Gespür für die Lebenszusammenhänge, die zu eben dieser Sicht beitragen.

Biografie und Bekenntnis prägen das Denken jedes Menschen, dessen ist Schröder sich bewusst. Er unterscheidet sich damit methodisch von den „neuen Atheisten“, die ihre Weltanschauung für eine „wissenschaftliche“ (und damit überlegene, weil „objektive“) halten. Während sie ihren Glauben beziehungsweise Unglauben als irrelevant für ihre Auffassung darstellen, sich durch und durch als „rational“ verstehen, Lebensvollzüge insgesamt nur durch die wissenschaftliche Brille betrachten und damit die Grenzen von Wissenschaft und Weltanschauung verschleiern, bekennt sich Schröder freimütig zu den Voraussetzungen seiner Position und klärt damit sein erkenntnisleitendes Interesse: Bedingungen seiner Kritik an Dawkins ist zum einen sein christlicher Glaube, zum anderen seine Erfahrung mit atheistischer Religionskritik in der DDR, in der Schröder als Christ lebte.

Schröder spricht aus diesem Bewusstsein mögliche Folgen des „neuen Atheismus“ an, was ihm zuzugestehen ist, schließlich musste er persönlich unten den Folgen des „alten Atheismus“ leiden. Das Besondere, ja regelrecht Bewundernswerte ist, dass er dabei seinen scharfen Verstand nicht gegen das grobe Beil dessen eintauscht, der es dem Gegner heimzahlen will. Schröder gibt Übungseinheiten in Sachen Differenzierungsvermögen. Er verdeutlicht dabei, dass Dawkins nicht nur über alle Maße polemisiert und dazu unsachliche Zuspitzungen vornimmt, sondern dass er in vielen Punkt schlicht falsch liegt - auch wenn er dabei auf sachliche Fehler nicht weiter eingeht, da dies den Rahmen der Abhandlung gesprengt hätte - denn: „Dawkins Religionskenntnisse sind weniger als dürftig“.

Er entlarvt zwei inhaltliche Grundfehler des „neuen Atheismus“, die sich auf dessen Selbstbild und dessen Religionsverständnis beziehen. Im Innenverhältnis diagnostiziert Schröder den Hang des „neuen Atheismus“, sich aus der eigenen Tradition herauszunehmen, mit der Folge: „Dawkins hat den schmerzlichen Schritt zu einer kritischen Sicht der Geschichte des Atheismus noch vor sich“. Im Außenverhältnis entlarvt Schröder das fundamentalistische Schriftverständnis des „neuen Atheismus“: Entweder alles in der Bibel ist wortwörtlich wahr, ohne Unterscheidung der unterschiedlichen Textgattungen, ohne hermeneutische Einordnung der Erzählungen in einen historischen Kontext, ohne Berücksichtigung der Entwicklung innerhalb der Bibel – oder eben nichts.

Das entspricht aber in keiner Weise dem Stand der zeitgenössischen Theologie. Mit dieser „Alles-oder-nichts-Hermeneutik“ verschaffe sich Dawkins bloß „ein sehr schlichtes Diskriminierungsinstrument“. Zudem bezieht sich diese atheistische Bibellektüre mit ihrer fragwürdigen Exegetik auf einseitig ausgesuchte Stellen voller Gewalt, die aber im Selbstverständnis des Christentums nicht den Stellenwert haben, der ihnen mit dieser Fokussierung zugeschrieben wird. Aber warum liest Dawkins die Bibel so? Er brauche die dabei sich ergebenden Resultate, so Schröder, um sein starres Freund-Feind-Schema durchzuhalten. Dawkins mache dabei „nicht den geringsten Versuch, Überzeugungen anderer, die er für falsch hält, aus ihrer Sicht zu rekonstruieren“.

Richard Schröder legt mit seiner differenzierten Analyse des wissenschaftlichen Fanatismus ein argumentativ dichtes und kenntnisreiches Buch gegen jedes Schwarz-Weiß-Denken vor. Es enthält wichtige Einsichten, man möchte fast jeden Satz unterstreichen. An den Seitenrändern wimmelt es nach der Lektüre nur so vor Ausrufungszeichen. Die entlarvende Analyse dürfte vielen religiösen Menschen wohl tun, die oft sprach- und hilflos sind, angesichts der neuen Welle von immer konkreter werdenden Anfeindungen und Gehässigkeiten, die Dawkins & Co. zumindest billigend in Kauf nehmen, wenn sie die Kategorie „religiöses Gefühl“ für nicht relevant halten.

Besonders die Lebenserfahrungen des Autors überzeugen in ihrer Authentizität. Der inhaltlich beachtliche Text ist zudem so verständlich geschrieben, dass er angenehm zu lesen ist; phasenweise ist er richtig unterhaltsam. Ein sehr gelungenes Buch, das informiert, auf der Basis von Fakten und Erfahrungen Partei ergreift und in seinem Duktus großes Vergnügen macht.
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